Weshalb musste die Quadriga auf dem Brandenburger Tor eine beschwerliche Reise nach Paris und zurück unternehmen? Welcher Berliner Bahnhof hat den bukolischen Charme einer französischen Landstation? Und was verbindet den Französischen Friedhof an der Chaussee-Straße mit dem Wiederaufbau der Burg Cochem? Erstaunliches und Bekanntes aus Berlins Geschichte mit Frankreich und den Franzosen erfuhren wir uns im wahrsten Sinne des Wortes am Pfingstmontag. Per Rad ging es rund 50 Kilometer durch die Hauptstadt.
Mit bester Entdeckerlaune angesichts des strahlenden Frühsommertages starteten wir auf dem Parkplatz der Grundschule in den ehemaligen französischen Sektor im Norden Berlins. Zu sehen gab es in Wittenau die ehemalige Residenz des französischen Botschafters und die des französischen Militärkommissars, heute Botschaft eines nordafrikanischen Landes. Viel Frankreich atmet noch heute die ehemalige Cité Foch, wohnquartier der Franzosen, nicht n nur wegen ihrer Straßennamen oder des Lycée Romain Rolland. Hier können die Schüler ein deutsch-französisches Abitur erwerben und damit beste Startchancen in beiden Ländern.
Die jetzige Julius-Leber-Kaserne war damals als Quartier Napoléon Standort der Franzosen, mit dem Kino L’Aiglon für jede Vorbeifahrenden immer noch unverkennbar. Ein Denkmal vor dem Kasernentor erinnert an Frankreichs wichtigen Beitrag zum Schutz der Freiheit im westlichen Teil der Vier-Mächte-Stadt. Viel ziviler und noch heute Ort des Kultur- und Jugendaustauschs ist das Centre Francais an der Müllerstraße. Neben einem Kino bietet es im Bistrot kulinarischen Flair und ist beliebter Anlaufpunkt bei der jährlichen Fête de la Francophonie (dieses Jahr Corona-bedingt ausgefallen).
Eine grüne Oase der Stille und inneren Einkehr ist der Französische Friedhof, dessen teilweise sehr alte, schmuckvolle Gräber Geschichten erzählen bis in die Gegenwart hinein: Dass hier auch der beliebte Auslandskorrespondent Gustav Trampe die letzte Ruhestätte fand, war eine von vielen Überraschungen. Vorbei am (passenderweise Friedrichstrasse Ecke Französischen Straße gelegenen) Kaufhaus Galleries-Lafayette, quirliger Ort deutsch-französischen Wirtschaftsaustauschs heute, radelten wir zum Französischen „Dom“ am Gendarmenmarkt.
Er ist nämlich gar kein Dom im eigentlichen Sinne, sondern verdankt seinen Namen dem eindrucksvollen Kuppeldach, französisch dôme. Zudem ist er protestantisch. Denn der Kirchenbau legt Zeugnis ab für die intellektuellen und wirtschaftlichen Leistungen der Hugenotten. – und die Toleranz Preußens. Bereits der Große Kurfürst hatte ihnen Zuflucht gewährt vor religiöser Verfolgung im Heimatland. Vorbei am ehemaligen Gebäude der Schlafwagengesellschaft Waggons Lits Unter den Linden erreichten wir den Pariser Platz. Anspruchsvolle zeitgenössische französische Architektur zeigt hier die Botschaft Frankreichs und steht für die engen Beziehungen unserer beiden Länder heute auf allen Gebieten. Irgendwie ins Thema passt da auch die Vertretung Kanadas frankophoner Provinz Québec neben dem Brandenburger Tor.
Und natürlich die Quadriga. Schadows Meisterwerk hatte nämlich Napoleon 1806 mit der Niederlage Preußens nach Paris verschaffen lassen. Erst acht Jahre später, nach dem Sieg der anti-napoleonischen Allianz, kehrte sie auf ebenso beschwerlichen Weg zurück auf ihren angestammten Platz. Womit wir bei den drei Ausgangsfragen wären. Die zweite meint selbstverständlich den flachen Fachwerkbau des französischen Militärbahnhofs, der architektonisch so gar nichts Martialisches hat. Die dritte Frage bezieht sich auf den Berliner Kaufmann und Kommerzienrat Louis Ravené, der die im 17. Jahrhundert von französischen Soldaten gesprengte Burg Cochem als Sommersitz für seine Familie wieder aufbauen ließ. Was Cochem einen Gedenkstein unweit seiner kunstvollen Grabstätte wert war.
„Ausbaldowert“ und recherchiert hatte die Tour, die zurück völlig ungroßstadtmäßig entlang Spree und Panke sowie durch Grünanlagen führte, unser Vorsitzender Wolfgang Crasemann. Die radelnden Amis de France sagen dafür Dank und Anerkennung. Und sind voller Vorfreude auf das nächste Mal. Denn die wechselvolle deutsch-französische Geschichte liefert in Berlin und Umland noch so manches Ziel für frankophile Ausflüge.
Dr. Ulrich Strempel